Ein weiser Pfarrer hat sie Wegwerfprodukte genannt. Und Rhetorikerinnen betonen, dass sie Reden und keine Schreiben seien. Predigten sind Sprechakte, und was hier ins Netz gestellt wird, sind Manuskripte, nicht mehr. Wenn sie als solche indessen ein Gemeindeglied in den Ferien am fernen Strand an zuhause erinnern oder einen im Schreibstau im Internet surfenden Kollegen zur nächsten Zeile inspirieren, dann – ja, was will man dann mehr?
Zumindest von fern erinnert man sich an manches – an das Leitwort der Friedensbewegung etwa: „Messer zu Pflugscharen“, oder an die wunderbare Vision, dass einst „der Wolf beim Lamm zu Gast“ sein wird. Da sind Passagen, die sich seit alters mit den christlichen Festzeiten verbinden:
• „Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein grosses Licht“: Adventsstimmung pur.
• „Ein Reis (Schössling) wird hervorgehen aus dem Baumstumpf Isais“ hallt nach im berühmten Weihnachtslied: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart“.
• Im Karfreitagsgedicht „O Haupt voll Blut und Wunden“ blickt Paul Gerhardt auf das entstellte Angesicht Christi wie einst Jesaja auf das Antlitz des „Gottesknechts“: „So entstellt, nicht mehr menschlich war sein Aussehen und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder“.
Jesaja ist eine Fundgrube für Liturgie („Heilig, heilig, heilig, Herr Gott Zebaoth, erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit“) und Poesie („Noch ehe es wächst, lass ich’s euch erlauschen“), für schlagende Pointen („Und es wird sein, wie wenn ein Hungriger träumt, er esse, und wenn er erwacht, ist ungestillt sein Verlagen – … so wird es dem Schwarm der Völker ergehen, die wider den Berg Zion streiten“) und träfe Vergleiche („Die Tochter Zion ist übriggeblieben wie eine Nachthütte im Gurkenfeld“), für Taufsprüche („Berge mögen weichen und Hügel wanken, aber meine Gnade wird nicht von euch weichen und mein Friedensbund nicht wanken, spricht der Ewige, dein Erbarmer“), Trinksprüche („Lasset uns essen und trinken! Denn morgen sind wir tot!“) und Sprüche zur meditativen Versenkung („In Umkehr und Ruhe liegt eurer Heil, in Stillehalten und Vertrauen besteht eure Stärke“). Es offenbaren sich Gottesgedanken von tiefster Dunkelheit („Verstocke das Herz dieses Volkes, mache taub seine Ohren und blind seine Augen!“) ebenso wie Visionen von überirdischem Glanz („Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde“).
Scheinbares Tohuwabohu
Das Jesaja-Buch entfaltet in 66 Kapiteln ein in Höhe und Tiefe nicht auszulotendes Universum. Wer indessen eintreten will in diese Welt, wird sich der Irritation kaum erwehren können. Da ist eine verwirrende Vielfalt von Versen, die nur durch Stichworte verknüpft und oft genug ganz zusammenhangslos nebeneinander stehen. Schon der geniale Reformator und Bibelübersetzer Martin Luther (1483-1546) hat diesen Sachverhalt mit Befremden zur Kenntnis genommen: Die Propheten „haben eine seltsame Weise zu reden, als die keine Ordnung halten, sondern das Hundert ins Tausend werfen, dass man sie nicht fassen noch sich drein schicken mag.“
Die moderne Bibelforschung hat für dieses scheinbare Tohuwabohu eine einleuchtende Erklärung gefunden: Die Prophetenbücher sind Sammlungen von kleineren Einheiten, die ursprünglich selbständig standen, erst später zusammengestellt und von späteren Generationen erweitert, verändert, zuweilen gar ins Gegenteil verkehrt worden sind.
Jesaja und „Deutero-Jesaja“
Beim Propheten Jesaja findet sich eine Zäsur, die den Gelehrten schon seit Jahrhunderten auffällt: Bis zum 39. Kapitel wird, generell gesagt, Unheil verkündet. Ab Kapitel 40 ändert sich der Ton total: Nun wird einem zerschlagenen Volk Licht, Erlösung, Trost zugesagt. Diese Beobachtung hat die Forschung dazu gebracht, von Jesaja einen „Deutero-Jesaja“ (einen „zweiten Jesaja“) zu unterscheiden:
• Der Prophet Jesaja lebte vor dem Jahr 700 v.Chr. in einer politisch unruhigen Zeit: Das Nordreich Israel wurde durch die Assyrer zerstört, das Südreich Judäa und dessen Hauptstadt Jerusalem waren in ihrer Existenz bedroht.
• Die anonyme Prophetengestalt, der die Forschung den Namen „Deuterojesaja“ gegeben hat, trat in einer komplett veränderten Situation auf: im babylonischen Exil, nachdem 587 v.Chr. auch der Süden zugrundegegangen und Jerusalem zerstört worden war.
Jesaja kündet das hereinbrechende Unheil an, „Deuterojesaja“ verkündet dem zerbrochenen, verschleppten Volk in der Fremde Heimkehr und Heil. All diese Unheils- und Heilsprophezeiungen in ihrer bildhaften Sprache weisen über die konkrete geschichtliche Situation hinaus. Man hat sie, wie erwähnt, auf Christus, das Christentum und die christlichen Festzeiten bezogen. Die hier zusammengestellten Predigten versuchen, sie in unsere Zeit und unser Leben hinein sprechen zu lassen.
Andreas Fischer
Ein weiser Pfarrer hat sie Wegwerfprodukte genannt. Und Rhetorikerinnen betonen, dass sie Reden und keine Schreiben seien. Predigten sind Sprechakte, und was hier ins Netz gestellt wird, sind Manuskripte, nicht mehr. Wenn sie als solche indessen ein Gemeindeglied in den Ferien am fernen Strand an zuhause erinnern oder einen im Schreibstau im Internet surfenden Kollegen zur nächsten Zeile inspirieren, dann – ja, was will man dann mehr?